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Wirksames Vergeben


Unsere Beweggründe sind entscheidend

Reinhold Ruthe

DURCH VERGEBEN HEILEN SEELISCHE WUNDEN


Die Vergebung ist eine menschliche und geistliche Grundsatzforderung. Menschen unterscheiden sich von allen anderen Lebewesen dadurch, dass sie sich wissentlich und ohne legitimen Grund Leid zufügen können. Sie belügen und täuschen sich, sie vergewaltigen, schlagen und machen sich gegenseitig lächerlich. Sie tun es nicht nur den Feinden an, sondern auch den nächsten Angehörigen. Nein, das größte Leid geschieht nicht nur auf dem Schlachtfeld sondern auch zwischen Menschen in engen Beziehungen.

Zusammenleben ohne Konflikte, ohne Verletzungen, ohne bewusste und unverstandene Kränkungen ist unmöglich. Vergebung verhindert, dass Beziehungen zerstört werden. Sie verhindert, dass Menschen sich wie Feinde behandeln. Vergebung ist wie Schmieröl für ein reibungsloses Miteinander im Zusammenleben. Das gilt für Christen und für Nichtchristen, für Kinder und für Erwachsene. Das gilt für Ehen, Familien, Dorfgemeinschaften und für Völkerbeziehungen.

In der Tat: Vergebung ist die wichtigste Sache der Welt. Sie ist zweifellos das Herzstück der Seelsorge. Durch Vergeben heilen seelische Wunden. Vergebung macht es möglich, Unverzeihliches zu verzeihen. Sie macht es möglich, Feindschaft in Freundlichkeit zu verwandeln. Sie macht es möglich, Misstrauen in Vertrauen umzugestalten. Vergebung ist auch die Voraussetzung zur Gemeinschaft mit GOTT.


- Wer nicht vergeben kann, ist liebesunfähig.
- Wer nicht vergeben kann, ist beziehungsunfähig.
- Wer nicht vergeben kann, ist konfliktunfähig.

Unehrliche Entschuldigungen

Jedoch erleben wir auch: Im zwischenmenschlichen Zusammenleben spielen unehrliche Entschuldigungen eine große Rolle. Dem einen gehen die Entschuldigungen glatt über die Lippen, der andere tut sich schwer.

Das liegt daran, dass wir Menschen grundverschieden sind. Es gibt Männer und Frauen, die reden drauflos. Es schmerzt sie kaum, wenn sie sich im Vokabular vergriffen haben. Sie verletzen ohne es zu merken. Sie kränken und wissen nicht einmal, wann es passiert ist. Ihr Wesen ist unkomplizierter, sie leben lockerer und oberflächlicher. Diese Menschen haben große Schwierigkeiten mit anderen, die alles auf die Goldwaage legen, die Worte abwägen und Unbedachtes kaum herauslassen.

Und dann gibt es Menschen, die denken, fühlen und handeln ganz anders. Sie sind hochempfindlich, sagen lieber weniger als mehr. Sie wollen nicht anecken, nicht weh tun, niemand gegen sich aufbringen. Haben sie aber mal einen Fehler gemacht, leiden sie lange und eindrücklich. Sie sind äußerst gewissenhaft und korrekt.

Motive

Viele erleben: Wir haben vergeben, doch die Beziehung erfährt keine Heilung.
Überprüfen wir einmal unsere Motive! Untersuchen wir einmal unsere unverstandenen Reaktionen. Was wollen wir mit unehrlichen Motiven bezwecken?

- Ich habe Angst vor Konflikten und deshalb schnell mit Entschuldigungen bei der Hand.
- Ich habe Angst, verurteilt zu werden.
- Ich habe Angst, mein wahres Gesicht zu zeigen.
- Ich habe Angst, die Verantwortung für meine Sicht zu übernehmen.

So lange wir unsere versteckten unbewussten Motive nicht durchschauen, gehen wir uns selbst auf den Leim. Der Teufel hat ein leichtes Spiel mit uns. Er hat nichts dagegen, dass wir uns als Christen Vergebung zusprechen. Es bleibt alles an der Oberfläche. Ein Scheinfriede kennzeichnet die Beziehung. Im Tiefsten hat sich nichts geändert. Kämpfe, Ablehnung und Unzufriedenheit lodern weiter.

Alle Konflikte, die nicht besprochen werden, schwelen weiter und vergiften die Beziehung.

Was verdrängt wird, arbeitet im Unbewussten weiter. Was verleugnet wird, gibt Zündstoff für neue Schwierigkeiten.

Wir decken Probleme zu und betreiben – fälschlicherweise – eine zudeckende Seelsorge.

Das Symptom ist die Folge, nicht die Ursache des Problems

Viele Gebete sind unwirksam, ja nutzlos, weil wir um Heilung von Symptomen beten, die eigentlichen Motive im Hintergrund aber nicht erkennen.
Versöhnung heißt nicht, Frieden um jeden Preis, heißt nicht Konflikte zu bagatellisieren, Auseinandersetzungen zu vermeiden, Harmonie vorzutäuschen.
Viele Christen beten um Befreiung von Symptomen, aber sie kümmern sich nicht um ihre Beweggründe. Unser HERR interessiert sich aber

- für unsere Motive
- für unsere versteckten Absichten,
- für unsere hintergründigen Ziele.

Darum sind viele Gebete oberflächlich, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sprechen die Oberfläche an, weil wir den Blick in die Tiefe vermeiden.
Aufdeckende Seelsorge meint,

- dass es nicht in erster Linie um Symptome geht, sondern um tiefer liegende Störungen. Symptome sind die Anzeichen für eine Schwierigkeit, nicht die Schwierigkeit selbst.

- dass die Motive und Beweggründe für die Sünde herausgearbeitet werden müssen. Z.B. ist das Symptom 'Zusammenschlagen'’ mit Sicherheit nicht das Hauptproblem. Es demonstriert eine tiefer liegende Fehleinstellung. Das Schlagen ist die Folge, nicht die Ursache des Problems.

- dass ein Konflikt immer wieder aufbricht, wenn die meist unverstandenen Motive den Partnern nicht bewusst sind.

Nur was Menschen erkannt haben, können sie auch bekennen. Ein allgemeines 'Sündenbekenntnis' hilft nicht weiter. Die Praktiken, die im Dunklen bleiben, werden weiter benutzt.

Vergebung ist eine Reise

Der amerikanische Autor David Augsburger schrieb: 'Vergebung ist eine Reise, die aus vielen Schritten besteht.'’ Wer aktiv in der Seelsorge steht, weiß, dass Vergebung Zeit braucht, einen Umdenkungsprozeß erfordert.
Oft machen wir es uns in der Seelsorge zu leicht. Wir gehen davon aus, wer in JESU Namen dem anderen vergibt, ist blitzartig frei, los und ledig von Vorbehalten, Verletzungen, Ressentiments und Befürchtungen. Das kann geschehen. Die Regel ist es nicht.
Das griechische Wort für Vergebung meint: lassen, loslassen, entlassen, fortlassen. Es ist ein Wort aus der Rechtssprache. Es bedeutet: Ich entlasse den anderen aus der Verpflichtung.

- Vergebung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
- Vergebung ist ein Anfang, die Fronten aufzuweichen.
- Vergebung ist eine Entscheidung, eine falsche Haltung aufzugeben.
- Vergebung ist ein Friedensangebot, die Waffen schweigen zu lassen.
- Vergebung ist ein Vertrauensvorschuss auf den anderen zu.
- Vergebung bedeutet, die Hintergedanken und Befürchtungen aufzugeben.
- Vergebung braucht Zeit.
- Vergebung braucht Heilungszeit.

Leib und Seele müssen wieder ins Gleichgewicht kommen. Verletzungen und Demütigen müssen überwunden und abgelegt werden können. Niemand kann sich befehlen, bestimmte Traumata zu vergessen.

Vergebung ist eine Reise mit vielen Schritten. Vergebung ist häufig ein langwieriger Prozess.

Vergebung ist kein müheloser Spaziergang. Viele Menschen machen es sich zu leicht. Vergebung kostet in der Tat Arbeit. Die versteckten und tiefsitzenden Motive müssen ans Licht. Eine oberflächliche Vergebung fördert die Selbsttäuschung und verstärkt die negativen Beziehungen.
Vergebung ist die Achse für jedes Zusammenleben.


Auszüge aus:
Vergebung, Herzstück der Seelsorge
Reinhold Ruthe
ISBN 3 89175 169 9 Blaukreuz-Verlag Wuppertal 2001

Reinhold Ruthe,
Eheberater, Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche,
Ausbildungsleiter für beratende und therapeutische Seelsorge.

Textzusammenstellung und Überschriften von Irmgard Ott.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
el shalom Freundesbrief Dezember 2002


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